Vermögen und Bau Baden Württemberg, offener, zweiphasiger Realisierungswettbewerb, VOF-Verfahren nach RPW 2013
Am 01.01.2014 wurde im Schwarzwald rund um den Ruhestein und rund um Herrenwies auf insgesamt ca. 10.000 Hektar Fläche der Nationalpark Schwarzwald eingerichtet.
Als zentrale Anlaufstelle im Nationalpark soll ein Besucher- und Informationszentrum mit den Schwerpunkten Umweltbildung, Besucherinformation und Besucherlenkung am Ruhestein, einer Passhöhe an der Schwarzwaldhochstraße auf ca. 900 m Höhe, realisiert werden.
Außerdem soll am Ruhestein ein Teil der Nationalparkverwaltung in einem Neubau - entweder im Bereich der denkmalgeschützten „Villa Klumpp“ oder im Zusammenhang mit dem Besucher- und Informationszentrum - untergebracht werden.
Die „Stockwerke des Waldes“ werden durch einen orthogonal zum Hang stehenden Riegel horizontal erfahrbar gemacht. Dadurch wird der Gang durch das Besucherzentrum an sich zum Baumwipfelpfad und begleitet die didaktische Ausstellung vom Foyer an. Der Wald wird dabei von der Wurzel bis zur Krone barrierefrei und aus faszinierender Perspektive erlebbar gemacht.
Durch die sensible Positionierung im Wald ist der Baukörper seitlich kaum sichtbar und tritt nur beim Eingangsbereich als Eye-Catcher hervor. Das Ende des Besucherzentrums ragt gerade über die Baumkronen hinweg und man hat einen freien Blick über die Baumwipfel ins Rotmurgtal. Das Besucherzentrum fügt sich trotz seiner klaren Architektur in die gegebene Natur ein anstatt sie zu dominieren.
Das Gebäude nimmt auf Lichtungen und besonders schützenswerte Bäume Rücksicht und verzahnt sich mit dem umgebenden Wald. Es schwebt zwischen den Baumkronen und berührt den Waldboden nur mit wenigen Stützen, was zu einem schonenden Eingriff führt.
Außenliegende Fachwerkträger bilden mit dem zurückspringenden Baukörper eine räumliche Schicht zwischen Ausstellungsbereich und Wald. Einzelne Baumindividuen werden dadurch gezielt in das Gebäude eingebunden, um eine fokussierte Betrachtung zu ermöglichen. Im Laufe der Zeit wird das Gebäude immer stärker mit dem Wald „verwachsen“, indem die Bäume mit Ihren Zweigen durch die Höfe und Öffnungen im Fachwerkträger wachsen.
Die räumliche Schicht der „Höfe“ lockert dabei den Ausstellungsrundgang auf, auch wenn der Weg an Sonderbereichen (Vortragssaal, Klassenzimmer usw.) vorbeiführt. Die Höfe bringen Licht und Luft tief ins Gebäude und können durch Balkone, Stege und Pfade erkundet werden. So bilden sie den Außenbereich auf unterschiedlichsten Höhen des Waldes.
Verkehr
Die Verkehrsströme werden entflochten und das bestehende Loipen- und Wanderwegenetz fußgängerfreundlich über die Grünbrücke gezogen, um eine Verbindung aller am Ruhestein befindlichen Nutzungen sicher zu ermöglichen: Besucherzentrum, Nationalparkverwaltung, Wanderwege und Wintersport. Die Verbindungsstraße zwischen B500 und L401 wird gekappt, das Wanderheim und die Skisprungschanze bleiben für Anlieger erreichbar. Dadurch wird der Ruhestein um einen unübersichtlichen Kreuzungspunkt entlastet und es entsteht ein größerer und sicherer Parkplatz an der B500.
Die L 401 wird ab der Villa Klumpp um 1 m abgesenkt und von einer Grünbrücke überspannt, welche in eine große Vorfläche vor dem Foyer mündet. Unter dem Vorplatz parken, für Fußgänger nicht sichtbar, Autos und Bäume durchdringen den Vorplatz. Das erhöhte Besucherzentrum kann ebenerdig und barrierefrei vom Vorplatz aus erreicht werden, an welchen eine Bushaltebucht auf gleiche Höhe anschließt. Die Zufahrt zur Parkfläche erfolgt eben von der L401und eine geschwungene Freitreppe verbindet Parkdeck und Vorplatz.
Funktionen
Um das direkt an den Vorplatz anschließende Foyer gruppieren sich alle separat nutzbaren Funktionen: Die Wechselausstellung auf gleicher Ebene, das Kino im UG und die Vortragsräume mit Café in der Ebene darüber. Dadurch können diese Bereiche unabhängig voneinander und auch vom Ausstellungsrundgang genutzt werden. Dieser beginnt im Foyer mit Infotheke, Garderobe/WC und dem Shop. Über die mit Drehwänden abtrennbare Wechselausstellung gelangt man zu den Unterrichtsräumen, wobei gezielte Öffnungen und Austrittsmöglichkeiten in die Höfe interessante Perspektiven auf den Schwarzwald ermöglichen. Durch den großen Bereich mit den Exponaten der Dauerausstellung gelangt man zum Panoramafenster am Ende des Baukörpers. Eine Sitzstufentreppe kann für Vorträge genutzt werden und lädt zum Betrachten des Waldpanoramas ein. Über diese Treppe wird man umgelenkt und erreicht die obere Ebene mit weiteren Exponaten und dem abgetrennten „Raum der Stille“. Das Ende des Rundgangs bildet das Café mit offenem Gastraum und süd-west gerichteter Außenterrasse. Von hier führt eine verglaste Treppe zurück ins Foyer, wo der Besucher alles soeben Gelernte selbst im Nationalpark bei Wanderungen und auf Lehrpfaden erkunden kann. Die Platzierung des Cafés direkt über dem Foyer ermöglicht auch Wanderern und Besuchern, welche die Dauerausstellung schon kennen, einen Besuch der Nationalpark-Gastronomie.
Über ein separates Treppenhaus an das Foyer angebunden befindet sich die Verwaltung mit natürlicher Belichtung, schnellen Wegen für Mitarbeiter, Übersicht über den Vorplatz und Sichtbezug zur Nationalparkverwaltung.
Neben dem Kino gibt es weitere Lagerflächen und die Möglichkeit, Technikflächen anzuordnen, Müll, Schneeräumgeräte usw. sind in Boxen unter dem Vorplatz angeordnet.
Die Nationalparkverwaltung wird komplett bei der Villa Klumpp (Planungsgebiet Nord) angesiedelt und das Naturpark-Haus erhalten, um Ressourcen zu schonen. Ein eingeschossiger Neubau fügt sich in das Ensemble ein und klärt die vorher unübersichtliche Ankommenssituation.
Konstruktion
Ein Fachwerk-Trogträger aus Kasten-Hohlprofilen ruht auf Beton-Stahl Verbundstützen mit Punktfundamenten. In das Stahl-Tragwerk wird das Besucherzentrum in Holzbauweise eingeschoben. Beide Werkstoffe werden ihren Eigenschaften entsprechend genutzt:
Stahl: leicht, filigran, hohe Tragkraft
Holz: ökologischer, lokal vorkommender Baustoff, gute Wärmedämmeigenschaften, angenehmes Raumklima
Die gesamte Konstruktion wird vorgefertigt und vor Ort nur noch zusammengesetzt. Dadurch entsteht ein effizienter und vor allen Dingen schonender Bauvorgang.
Nachhaltigkeit
Das Besucherzentrum als ein zusammenhängendes Gebäude ermöglicht eine gute Vernetzung mit allen Medien. Durch den Rundweg durch das Gebäude wird der Anteil an Verkehrsflächen minimiert. Der schmale, nur 2-geschossige Baukörper ermöglicht eine effiziente, natürliche Querlüftung für die Kühlung im Sommer. Die Höfe im Gebäude ermöglichen die natürliche Belichtung mit Tageslicht bis tief in den Baukörper. Der „Fußabdruck“ des Gebäudes im Wald ist minimal. Geothermie als minimalinvasiver Eingriff deckt die Wärmeversorgung des Gebäudes.
Das Regenwasser von Gebäude und Außenflächen wird gesammelt und unterhalb des zwischen den Baumkronen hängenden Besucherzentrums versickert. Der natürliche Wasserkreislauf wird so erhalten und Bodenerosion verhindert. Dadurch wird die ansonsten trockene Zone bewässert und stellt einen Bewuchs mit Farnen und Moosen sicher. In Verbindung mit einem Waldlehrpfad entsteht eine Spielwelt aus Holz, Matsch, Büschen und Bäumen für Kinder.